Die Suche nach dem gegenwärtigen Christus II
„Auf den Wolken des Himmels“
In früherer Zeit wurde das Wissen um die Gesetzmäßigkeiten der inneren Entwicklung von einzelnen Menschen gehütet. Seit der Menschwerdung des Weltenwortes, des Christus, sehen wir, wie in dem werdenden Christentum in den Bildern und Symbolen der Feste dieses geheime Wissen vor die ganze Menschheit gestellt wird und dadurch eine Umwandlung vom „Mysterium des Menschen“ zum „Menschheitsmysterium“ eingeleitet wird.
Ein wesentlicher Inhalt der inneren Schulung ist die Harmonisierung des männlichen und weiblichen Poles durch die Geisteskraft der Aufmerksamkeit und der Seelenfähigkeit der Hingabe, wodurch der Seelenraum geläutert wird und seine Entsprechung in dem wolkenlosen blauen Himmel findet. Aus dieser Reinheit, unberührt aller Vorstellungen, erstrahlt das Bewusstsein der ursprünglichen Ganzheit des Menschen, jenseits der Polarität von männlich und weiblich, was aus der christlichen Esoterik heraus als die „kosmische Jungfrau Sophia“ bezeichnet wird; diese bildet die Grundlage zum Schauen des gegenwärtigen Christus. (Siehe Info3 2/99)
So wird Christus im Ägypter-Evangelium von seinen Jüngern gefragt, wann er sich offenbaren werde und sie ihn schauen dürfen: „Wenn ihr die Kleider abgelegt habt und euch nicht mehr schämt.“ Noch deutlicher antwortet Christus, als ihn Salome nach diesem Geheimnis fragt: „Wenn ihr das Kleid der Scham mit Füßen tretet und wenn die Zwei eins werden, so dass es weder Männliches noch Weibliches gibt.“1 Doch was in der Einweihung des einzelnen, in der Harmonisierung des männlichen und weiblichen Poles geschieht, soll nun ein menschheitliches Ereignis werden, welches wir in der gegenwärtigen Kultur in der beginnenden Überwindung der Ost-West Polarisierung erkennen können.
Wenn wir Deutschland in bezug auf seine geographische Lage betrachten, so liegt es nicht nur in der Mitte Europas, sondern umfasst auch einen Raum, in dem sich die westliche und östliche Hemisphäre durchdringen. Wie wir in der einzelnen Individualität zwei Pole, den des Weiblichen und des Männlichen, welche der Hingabe und der Aufmerksamkeit entsprechen, erkannt haben, so können wir in der Welt das Weibliche durch den Osten und das Männliche durch den Westen repräsentiert finden.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Deutschland in zwei Teile geteilt, wobei der westliche ohne den östlichen Teil den westlichen Einflusskräften verstärkt ausgesetzt war und in kürzester Zeit einen materiellen Wohlstand und einen verstärkten Individualismus entwickeln konnte. Ostdeutschland bildete mit den slawischen Völkern eine Gemeinschaft und durchdrang sich mit östlichen Seelenkräften und der Idee des sozialen Lebens. In diesem Getrenntsein konnten die beiden Teile ihre Einseitigkeit verstärkt ausbilden.
Im Herbst des Jahres 1989, in der Jahreszeit, in der der Erzengel Michael mit seinem Schwert dem Christus voranschreitet, geht es wie ein Feuer durch die östlichen Völker, ein Freiheitsstrom durchströmt sie und eine Empfindung der Brüderlichkeit geht um die Erde. In der einen Waagschale der Menschheitsentwicklung vereinigt sich das deutsche Volk; West- und Ostdeutschland werden wieder ein Organismus. Auf der anderen Seite sehen wir, wie das große sowjetische Reich zerfällt, um sich auf sich selbst zu besinnen, was in der Rede Michail Gorbatschows im März 1987 im Kreml zum Ausdruck kommt: „Unsere Außenpolitik geht stärker, als dies jemals zuvor der Fall war, direkt aus unserer Innenpolitik hervor. Wir sagen es ganz offen, denn alle sollen es hören können: Wir benötigen einen dauerhaften Frieden, damit wir uns auf die Entwicklung unserer Gesellschaft konzentrieren und das Leben des sowjetischen Volks verbessern können.“
Von Ostdeutschland kamen die geistigen Impulse, die eine solche Kraft zur Veränderung in sich trugen, dass sie die Mauer, welche das sichtbare Zeichen der Trennung zwischen Ost und West war, überwinden konnten. Dadurch, dass Deutschland nicht nur mitten in Europa liegt, sondern auch den westlichen und östlichen Pol beinhaltet, erwächst ihm die Aufgabe, zwischen Ost und West zu vermitteln und an der Bildung des neuen gemeinsamen Europas in besonderem Maße mitzuwirken. In der Rede über den ersten Staatsvertrag vor dem Bundestag im Jahre 1990 sagte der Außenminister Genscher: „Die Teilung Deutschlands in zwei Staaten war das Symbol des kalten Krieges. Und die Vereinigung Deutschlands wird zum Schlüssel für die Schaffung des einen, des freien Europas.“
Die Geburt des ideellen Ich
Durch die Wiedervereinigung bildet Deutschland wieder einen lebendigen Organismus und dadurch für Europa eine richtungsweisende Mitte und, indem es verstehen wird, in sich die beiden Pole, den männlich-westlichen und den weiblich-östlichen, zu harmonisieren, bringt es den innenliegenden Keim zum Erblühen und kann dadurch in sich das ideelle Ich gebären. Nur dadurch wird Deutschland seiner Aufgabe gerecht werden können und die Erwartung, die die Welt, besonders die slawischen Völker an es haben, erfüllen. Dasjenige, was sich in diesem und immer weiteren Streben gebären will, das ideelle Ich, wird der Osten bereit sein aufzunehmen, denn er trägt durch seine Hingabefähigkeit die Erwartung in sich, von außen Impulse zu empfangen, damit er sich seine eigenen Werte erschließen kann. Aus diesen inneren Zusammenhängen ist es zu verstehen, dass in der deutschen Nation eine Liebe zu den slawischen Völkern ruht und dass diese bereit sind, sich nach dem Westen, besonders nach Deutschland hin zu öffnen.
Wir können im Zeitgeschehen verfolgen, wie sich der europäische Kulturimpuls langsam nach dem Osten hin verschiebt, um sich mit den vorgelagerten slawischen Völkern zu durchdringen. Diese sollen sich in dem mitteleuropäischen Kulturkreis wiederfinden, um an der neuzubildenden Ost-West-Kultur mitzuwirken. Und wie zukunftsweisend suchen Deutschland und Russland darüber hinaus geistige Verbindung zu schaffen. Im Jahr 1986 sagte der deutsche Außenminister Genscher vor der 41. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York: „Als Volk in der Mitte Europas betrachten wir es als unsere geschichtliche Aufgabe, den Ost-West-Gegensatz zu entschärfen und schließlich zu überwinden. Wir wären schlechte Deutsche und schlechte Europäer, wenn wir anders handelten … Wir wollen im Bewusstsein der Geschichte die deutsch-sowjetische Zusammenarbeit stetig fortentwickeln. Sie ist unabdingbar für eine realistische europäische Entspannungspolitik.“
Und der sowjetische Außenminister Edward Schewardnadse sagte über das vereinigte Deutschland: „Es wird ein Riese sein im Zentrum Europas, und das Schicksal Europas wird wahrscheinlich entscheidend dadurch bestimmt, wie wir unsere Beziehung zu diesem Riesen gestalten.“
Das deutsche Volk und die slawischen Völker stehen sich gegenüber, und ein inneres Drängen, sich aufeinander zuzubewegen, bestimmen ihre Motive. In dieser wachsenden Beziehung zum Osten darf jedoch Deutschland seine westlichen Nachbarn nicht ausschließen, wenn es nicht nur seine eigenen nationalen Interessen verfolgen will, denn es ist die Sorge der westlichen Nationen, bei der Neubegründung der Kultur inmitten Europas nicht miteinbezogen zu werden.
Die innewohnende Idee Europas kommt in seinem Symbol zum Ausdruck, den zwölf Sternen auf dem blauen Hintergrund. Es ist das Bild für die kosmische Weisheit, die die Vorbedingung bildet, den gegenwärtigen Christus zu schauen.
Das Schauen des lebendigen Christus
Die Evangelien berichten, dass Christus aus dem Wolkenbereich, der ihn vierzig Tage nach Ostern in sich aufnahm, den Menschen, die sich für sein Kommen vorbereitet haben, sichtbar werden soll.
Wenn wir mit unserem Tagesbewusstsein zu dem blauen Himmel emporschauen, zu der Sphäre, in der sich die Wolken bilden, in der sich die Erden- und Himmelssphäre berühren, um darin das Angesicht Christi zu suchen, dann können wir erleben, dass unser Empfinden aus diesem Bereich eine Verstärkung erfährt. So ist das Erscheinen des Christus auf den Wolken des Himmels nicht nur ein Gleichnis, sondern drückt eine reale Entsprechung zu dem Erleben des Christus aus, wie wir es in der Überwindung der inneren Polarität in unserem Bewusst-Sein erfahren können. Eine Erfahrung, durch die die Aussage des in der Ostkirche verehrten heiligen Nilus, eines Asketen aus dem 4. Jahrhundert, verständlich wird: „Wenn einer seinen Geist im Ruhestand sehen will, muss er sich von allen Gedanken leermachen, und dann wird er jenen schauen, der gleich einem Saphir ist oder wie die Himmelsfarbe.“2
Der auferstandene Christus ist in der die Erde umgebenden übersinnlichen Sphäre zu finden, aus der er sich uns wieder als ein Lebendiger offenbart, wenn wir das geistige Auge dafür in uns erweckt haben.
In einem Vortrag aus dem Jahr 1924 geht Rudolf Steiner auf die Wahrnehmung der Himmelsbläue ein: „Wenn Sie aber den gesamten Umkreis des Äthers ins Auge fassen, so ist der Grund, warum Sie den blauen Himmel sehen, der eigentlich ja auch nicht da ist der, dass Sie da das Ende des Äthers wahrnehmen. Sie nehmen also den Äther wahr als das Blau des Himmels…Der Äther ist zwar nicht wahrnehmbar, aber er erhebt sich zur Wahrnehmbarkeit wegen der großen Majestät, mit der er sich im Weltenall hinstellt, indem er sich kundgibt, offenbart in der Himmelsbläue…Aber hier beginnt bereits das Walten des Übersinnlichen.“3
Christus offenbart sich uns im Angesicht der reinsten Weisheitsliebe. In seinem Sein bewahrt er uns davor, auf dieser Stufe der inneren Entwicklung nur das eigene Heil zu suchen und sich vom Menschen- und Erdenschicksal abzuwenden. In seinem Weisheit und Liebe ausstrahlenden Angesicht erfahren wir die Hinwendung zur Erde, und durch das Bild des idealen Menschen, das er uns gibt, das Verlangen, die ganze Schöpfung auf dem Weg der Erlösung miteinzubeziehen. Wir erkennen das höhere Ich im Du und, dass es in Wirklichkeit keine Freiheit gibt, solange der andere in Unfreiheit lebt. Die schauende Seele ist ergriffen von dem Anblick des Christus, sie erkennt in ihm den Menschheitsrepräsentanten und erlebt in seinem Anblick qualvoll ihre Unvollkommenheit. Sie erträgt die eigene Dunkelheit nicht, und es erscheint ihr unerreichbar weit, diesem Anblick gerecht zu werden. Sie hätte nicht die Kraft, dazu, wenn Christus nicht an ihrer Seite wäre und das Paulus Wort „Nicht ich, sondern Christus in mir“ zu einer immer stärkeren Realität werden würde. Denn, wie wir uns auch nach dem Christus sehnen, seine Liebeskraft vermögen wir nicht in ihrer vollen Stärke zu empfangen, da unsere Leiblichkeit nicht die Reinheit dazu hat, sondern die egoistischen Triebe, die die Liebe in sich halten wollen, zu stark sind. Wird diese Kraft jedoch gehalten, wirkt sie zerstörerisch wie ein nicht zu bezwingendes Feuer.
Durch die Läuterung der Seele wurde die Vorbedingung gebildet, den lebendigen Christus zu schauen, doch, um die Liebeskraft, die von ihm auf uns überfließt, aufnehmen und weitergeben zu können, muss das lebendige Angesicht, das die ganze Erde ersehnt, als Keim in unser Wesen, tief in den Charakter hinein gesenkt werden.
Um das Erscheinen des lebendigen, des kosmischen Christus, durch den alle Menschen unabhängig von ihrer Kultur- und Religionszugehörigkeit an der umfassenden Liebe teilhaben und sich dadurch in ihrem Streben vereinigen können, nicht an uns vorübergehen zu lassen, müssen neue seelische Erkenntnisorgane entwickelt werden. Es ist die Umwandlung zu dem Bewusst-Sein, in dem die weiten Himmelsräume, die sich nun aus der inneren Gesetzmäßigkeit der Erdenentwicklung zu öffnen beginnen, nicht nur als leer, sondern als von Geist durchdrungen erkannt werden. Im Erleben des Christus sehen wir, was wir werden sollen, und er gibt uns in diesem Urbild des Menschen, welches der Sinn der Erde ist, ihr geistig zugrunde liegt, ein allgemeines Ideal der Menschheit, das nur in seiner Nachfolge, in der Zuwendung zum Menschen- und Erdenschicksal zu verwirklichen ist. Wir sehen darin den kosmischen, den lebendigen gegenwärtigen Christus in seiner ersten Offenbarung den Erdenumraum bilden.
Aus dem Unvermögen, sich willentlich von der Bindung an den physischen Leib zu lösen, entsteht die Imagination des Gekreuzigtseins der Seele an den physischen Leib. Diese Erfahrung wird so intensiv erlebt, dass aus ihr die makrokosmische Entsprechung, die Imagination des gekreuzigten Christus inmitten der Erde im Bewusstsein auflebt. Es ist Christus, der als eine kosmische Wesenheit zuerst einen menschlichen Körper angenommen hat, um die Todeskräfte, die darin wirken, in der Auferstehung zu überwinden, und sich dann mit dem gesamten Erdenleib zu verbinden. Er nimmt das Kreuz des physischen Daseins aufs neue an, um die ganze Erde bis in die Elemente hinein zu erhöhen. In dieser Imagination schauen wir den Christus in seiner zweiten Offenbarung, welche das Zentrum der ganzen Erdenentwicklung bildet. Plato, von dem der heilige Augustinus die Meinung vertrat, dass er nur wenige Worte und Ansichten ändern müsste, um ein Christ zu sein, sagt, dass er die Weltenseele an den Weltenleib gekreuzigt sieht, und weist dadurch prophetisch auf den kosmischen Christus hin, der das Erdenschicksal auf sich nehmen wird.
In reinster Weisheitsliebe offenbart sich Christus aus der die Erde umgebenden Himmelsbläue und weist uns dadurch in seiner ersten Offenbarung wieder den Weg zur Erde, da wir seinem Angesicht nur gerecht und ihm gleich werden können, wenn wir seinem Beispiel folgen und nicht nur das eigene Heil suchen, sondern den gesamten Menschheits- und Erdorganismus in dankbarer Hinwendung in den Erlösungsprozess einbeziehen. In dieser Neuorientierung der Seele liegt die beginnende Erlösung des gekreuzigten Christus inmitten der Erde. Eine Haltung des Herzens, eine Wiedergewinnung der „Mitte“ in uns, aus der heraus der die Erde unmittelbar umgebende Umraum durch unsere Anschauung zu leben beginnt, und wir den Christus in seiner dritten Offenbarung als die Quelle des lebendigen Lichtes erkennen, der bis in die Elemente hinein die Schöpfung durchchristet und den Prozess der Verhärtung in den der Erlösung überführt. Novalis drückt dieses Schauen in seinen geistlichen Liedern mit den Worten aus:
Er ist der Stern, er ist die Sonn,
Er ist des ewigen Lebens Bronn,
Aus Kraut und Stein und Meer und Licht
Schimmert sein kindlich Angesicht.
Der erste Schritt besteht darin, das erlebte Raumesbewusstsein, die kosmische Sophia im Haupt zu integrieren und dadurch den abstrakten physischen Raum zu vergeistigen. Der zweite Schritt bedeutet in der weiteren Entwicklung, dass wir uns nun, um die Nachfolge Christi zu vollziehen, erneut an den physischen Leib gekreuzigt finden müssen, wenn wir diejenige Wesenheit, die wir ersehnen, in unser Ich aufnehmen wollen. Bei dieser bewussten Inkarnation stößt die Seele auf Widerstände, die sie zuerst überwinden muss. Es sind die Verhärtungen und Verfinsterungen der Seele, die mit dem verlebendigten Licht durchdrungen werden müssen. Wir erkennen in diesem Vorgang die Entsprechung zu der Herbsteszeit, in der der Erzengel Michael mit erhobenem Schwert dem Christus voranschreitet, um ihm den Weg zur Erde zu bereiten.
Zuerst musste die Seele aus dem Gekreuzigt-Sein an den physischen Leib befreit werden, und nun stehen wir wieder vor der Entscheidung, im vollen Bewusstsein das Kreuz anzunehmen, die Ewigkeit des Raumes, die sich in der Vertikalen, und das sich Wandelnde des Zeitenstromes, das sich in der Horizontalen ausdrückt, in ein neu zu gewinnendes Bewusstsein zu integrieren. Dadurch vollziehen wir innerlich den Weg, den uns der Christus im Äußeren vorgelebt hat, was im Kreuz, aus dessen Kreuzungspunkt die innere Sonne erstrahlt, zum Ausdruck kommt. Es ist der Mensch, der in seinem Herzen die Polarität zwischen den Erd- und Himmelskräften harmonisiert hat und nun bewusst Christus in seiner dritten Offenbarung im lebendigen Licht schaut.
In einem Brief aus Muzot schreibt Rainer Maria Rilke, der sein innerstes Ideal, die Liebe zum Werden der Erde, das er im Christentum, welches er als mehr jenseitsorientiert erlebt, nicht finden kann, über diese Notwendigkeit, die ganze Erde in die Erlösung miteinzubeziehen:
Die Vergänglichkeit stürzt überall in ein tiefes Sein. Und so sind alle Gestaltungen des Hiesigen nicht nur zeitbegrenzt zu gebrauchen, sondern, soweit wirs vermögen, in jene überlegenen Bedeutungen einzustellen, an denen wir teilhaben. Aber nicht im christlichen Sinne (von dem ich mich immer leidenschaftlicher entferne), sondern, in einem rein irdischen, tief irdischen, selig irdischen Bewusstsein gilt es, das hier Geschaute und Berührte in den weiteren, den weitesten Umkreis, einzuführen. Nicht in ein Jenseits, dessen Schatten die Erde verfinstert, sondern in ein Ganzes, in das Ganze. Die Natur, die Dinge unseres Umgangs und Gebrauchs, sind Vorläufigkeiten und Hinfälligkeiten; aber sie sind, solange wir hier sind, unser Besitz und unsere Freundschaft, Mitwisser unserer Not und Froheit, wie sie schon die Vertrauten unserer Vorfahren gewesen sind. So gilt es, alles Hiesige nicht nur nicht schlecht zu machen und herabzusetzen, sondern gerade, um seiner Vorläufigkeit willen, die es mit uns teilt, sollen diese Erscheinungen und Dinge von uns in einem innigsten Verstande begriffen und verwandelt werden. Verwandelt? Ja, denn unsere Aufgabe ist es, diese vorläufige, hinfällige Erde uns so tief, so leidend und leidenschaftlich einzuprägen, dass ihr Wesen in uns ,unsichtbar’ wieder aufersteht.“4
In uns oder durch uns allein kann sich also dieser Erlösungsprozess der Erde vollziehen, indem wir in einem hingebungsvollen, jedoch wachen aufmerksamen Ich-Bewusstsein den mittleren Herzensbereich befreien. Dadurch öffnen wir das übersinnliche Organ der Mitte, das einerseits zum Tor für das Christuswirken, für die es durchströmenden Liebes- und Lichtkräfte wird, die in den Umraum hinausfließen und das Licht auf Erden um uns herum beleben und andererseits zum Wahrnehmungsorgan für Christus, der im Äußeren an der Verlebendigung des Lichtes, an der Umwandlung, an der Durchchristung der Erde bis in ihre Elemente hinein wirkt. Der Mensch soll also nicht nur ein zu erlösender sein, sondern in der Gemeinschaft mit Christus ein Erlöser für die Erde werden.
1 Rudolf Meyer, Zum Raum wird hier die Zeit, Frankfurt am Main 1983, S. 231.
2 Enomiya-Lassalle, Zen und christliche Mystik, Freiburg im Breisgau 1986, S. 440.
3 Rudolf Steiner, Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, 2. Bd., Dornach 1977 S. 239.
4 Rainer Maria Rilke, Briefe aus Muzot, Hrsg. Ruth Sieber-Rilke und Carl Sieber, Leipzig 1936, S.334 f.
Artikel von Zoran Perowanowitsch | Buchvorstellung | ||||